Der weibliche Zyklus erlebt gerade eine Revolution: Wir reden offener über die Menstruation; Frauen kommen wieder mehr in Sharing Circles zusammen, um sich auszutauschen; menstruierende Menschen setzen sich mit ihrem Zyklus bewusster auseinander und tracken ihn mit smarten Apps oder schönen Moon Charts. Das alles sind Gründe zum Feiern! Und Gründe, um sich die wichtige Frage zu stellen: Ist Zyklusbewusstsein eigentlich schon im modernen Yoga angekommen?
Es hat viele Jahre gedauert, bis das Wissen über die Bedeutung des Menstruationszyklus in der Yogapraxis seinen Weg zu mir gefunden hat – zu viele Jahre, wie ich finde. Dass Frau z.B. während der Blutung keine Umkehrhaltungen praktizieren oder feurige Atemübungen eher meiden sollen ist heute mehr oder weniger bekannt, wird aber trotzdem leider in vielen Yogaklassen ignoriert. Aber auch jenseits der Tage der Blutung und des Eisprungs spielt der weibliche Zyklus eine immense Rolle im Leben jeder Frau, was auch auf der Yogamatte von echter Bedeutung ist. Darum gehören Zyklusbewusstsein und Yoga einfach zusammen.
Dieser Artikel ist für Frauen und menstruierende Menschen geschrieben, aber auch für die Männer, die sie lieben. Denn das Thema Zyklusbewusstsein geht uns alle an, weil es einen wichtigen Grundaspekt unseres menschlichen Erfahrens berührt: Tag/Nacht, Vollmond/Neumond, Sommer/Winter, Eisprung/Menstruation – alles Leben ist zyklisch! Wenn wir das verinnerlichen, haben wir ein Werkzeug für echtes Empowerment an der Hand.
Der weibliche Zyklus – viel mehr als die Menstruation
Wie ist dein Verhältnis zu deiner Menstruation? Stell dir diese Frage gerne auch, wenn deine Monatsblutung vielleicht gerade ausbleibt oder du dich in der Menopause befindest.
Vielleicht wurdest du ähnlich wie ich dazu sozialisiert, dem ganzen Thema möglichst wenig Aufmerksamkeit zu schenken und während deiner Menstruation so wie immer weiter zu funktionieren. Das der weibliche Zyklus auch jenseits der Menstruation eine unglaubliche Relevanz im Leben einer Frau hat, auch wenn sie nicht gerade schwanger werden will, scheint ein seltsamerweise gut gehütetes Geheimnis zu sein.
Die Blutung ist im ganzen Zyklus vielleicht die präsenteste Phase für die meisten Frauen. Das liegt wohl daran, dass sie für viele mit Schmerzen und Unwohlsein verbunden ist, oder schlichtweg auch daran, weil wir das Blut, das aus unserer Vagina kommt, schwer ignorieren können. Doch auch die anderen Phasen im Zyklus von +/- 28 Tagen und die Muster, die wir erkennen können, verdienen unsere Aufmerksamkeit. Ihre Integration in die Yogapraxis hilft uns, uns noch besser kennenzulernen, auf unsere wechselnden Bedürfnisse gekonnt einzugehen und unsere weiblichen Qualitäten bewusst auszuleben.
Die 4 Phasen des weiblichen Zyklus
Der Menstruationszyklus kann in vier Phasen eingeteilt werden, die energetisch unseren Jahreszeiten sehr ähneln. Alexandra Pope und Sjanie Hugo Wurlitzer, die beiden Gründerinnen der Red School, dessen fantastisches Buch Wild Power – Dein Zyklus als Quelle weiblicher Kraft ich dir sehr ans Herz legen kann, sprechen daher von den inneren Jahreszeiten. Sie bezeichnen die Praxis des Menstruationszyklusbewusstseins (Menstrual Cycle Awareness, MCA) sogar als inneres Yoga der Frau. Und auch andere Expertinnen zum Thema haben mit der Symbolik der Jahreszeiten Landkarten für Frauen entwickelt, um die biologischen und energetischen Prozesse und Themen des weiblichen Zyklus ins Licht zu holen.
Vereinfacht gesagt dauern die vier Phasen des Zyklus jeweils +/- sieben Tage. Natürlich unterscheidet sich nicht nur der Dauer der einzelnen Phasen von Frau zu Frau; auch die prominenten Themen oder Kräfte, die den Phasen zugeordnet sind, sind nur Anhaltspunkte – denn jede Frau, jeder Mensch ist ein Unikat und absolut individuell. Die Landkarte der inneren Jahreszeiten ist ein Richtwert, um deine eigenen Muster ins Licht zu holen.
Die vier Phasen sind:
Innerer Winter | Menstruation
Themen/Kräfte u.a.: Stille, Reinigung, innere Einkehr, Präsenz, veränderte Bewusstseinszustände …
Der erste Tag der Blutung ist Tag 1 im neuen Zyklus. Die Menstruation ist eine Zeit des Loslassens und der Einkehr. Hier findet körperlich und energetisch ein innerer Reinigungsprozess statt, für den wir Kraft brauchen und weshalb wir uns wirklich Ruhe gönnen sollten. Der Fokus dieser Zeit liegt auf uns selbst, nicht auf der Außenwelt.
Innerer Frühling | Präovulation
Themen/Kräfte u.a.: Verspieltheit, Enthusiasmus, Zartheit, Unschuld, neue Energie …
Nach der Menstruation geht die Energie langsam wieder mehr nach außen. Wir sind nach dem Reinigungsprozess wie ein „unbeschriebenes Blatt“, die Karten sind neu gemischt. Wir spüren den Drang nach außen, dürfen aber ruhig noch langsam gehen.
Innerer Sommer | Ovulation
Themen/Kräfte u.a.: Nach außen gehen, nach außen orientiert, hohes Energielevel, Fülle, große Anziehungskraft, Freude, Lust, Sexualität …
Jetzt ist die Zeit, Dinge zu manifestieren. Im inneren Sommer können wir den Fuß von der Bremse nehmen. Wir sind nach außen orientiert, packen die Dinge voller Schwung und Positivität an und lassen uns kaum aus der Bahn werfen.
Innerer Herbst | Prämenstruum
Themen/Kräfte u.a.: Einsicht, innere Spannung, innere Kritikerin, Wahrheiten aussprechen, Provokation …
Langsam aber sicher geht die Energie wieder mehr nach innen. Für viele ist das die herausforderndste Zeit im Zyklus, in der sich vor der nächsten Blutung auch vermehrt Symptome wie Gereiztheit oder Abgeschlagenheit zeigen. Die innere Kritikerin ist hier oft besonders aktiv. Es geht darum, Spannungen auszuhalten, zuzuhören und den Blick langsam wieder mehr nach innen zu richten.
Erkennst du dich in diesen vier Phasen wieder? Vielleicht fühlst du dich in einer der Phasen besonders zuhause oder in einer anderen besonders herausgefordert. Es gibt hierbei kein richtig oder falsch. Was es von dir braucht ist annehmendes Gewahrsein. Mit der Zeit siehst du Muster, die sich im Laufe deines Zyklus zeigen. Und du wirst lernen, deine Bedürfnisse noch klarer zu erkennen und besser auf sie regieren zu können. Genau das kannst du in deiner Yogapraxis üben.
Zyklusbewusstsein auf der Yogamatte
Die Yogamatte ist der Ort, an dem wir uns besser kennenlernen. Ich habe oft das Bild von einem Tanz mit mir selbst, wenn ich Yoga übe. Atmen, spüren, beobachten, Impulsen folgen, Gefühle durch mich durchrauschen lassen, Energie tanken. Und seit ich Menstrual Cycle Awareness praktiziere, hat sich bei meiner Praxis noch einmal vieles verändert, wodurch sie sich heute authentischer und noch nährender anfühlt.
Als ersten Schritt nimm das Bewusstsein des weiblichen Zyklus und der inneren Jahreszeiten und ihrer Kräfte mit auf deine Matte. Wenn du Yoga praktizierst frag dich Wo bin ich heute in meinem Zyklus? An Tag 1 im inneren Winter brauchst du vielleicht etwas anderes als an Tag 18 im inneren Sommer. Wie ist gerade mein Energielevel? Welche Gefühle sind da? Welches Thema begleitet mich? Richte deine Yogapraxis auf deine Bedürfnisse aus, anstatt deine Yogapraxis wie ein enges Korsett über dich zu stülpen. Yoga ist nicht One Size Fits All!
Während du dich in der Zeit rund um deinen Einsprung vielleicht richtig herausfordern und pushen willst mit schweißtreibenden Flows, kräftigenden Asanas und feurigen Atemübungen, ist im inneren Frühling vielleicht etwas mehr Sanftheit für dich das Richtige. Wie übersetzt du das in deine Praxis?
Lass dich von deinem Körper leiten. Es müssen auch nicht immer Asanas sein. Während der Menstruation, der Zeit der Reinigung und des inneren Rückzugs, passen vielleicht Yoga Nidra oder Mantrasingen für dich einfach besser. Geh mit dem, was dich nährt. Je mehr du es übst, deine Bedürfnisse wahr- und ernst zu nehmen, umso leichter wird es dir auch mit der Zeit fallen, genau zu wissen, was gerade für dich dran ist. Die Stimme deiner inneren Lehrerin wird immer deutlicher und klarer.
Es wird nicht lange dauern, bis sich das auch in deinem Alltag jenseits der Yogamatte bemerkbar macht. Zyklisch zu leben heißt auf die sich ständig wechselnden Verhältnisse flexibel und annehmend re-agieren zu können.
Wie wunderbar, dass wir Frauen einen eingebauten Mechanismus in uns tragen, der uns immer wieder daran erinnert, dass Leben Veränderung bedeutet – und du mit deinem ganz individuellen Zyklus bist ein wertvoller Teil davon.
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