Woran denkst du, wenn du das Wort Selbstfürsorge liest?
Dazu fällt dir bestimmt einiges ein, denn glücklicherweise ist Selbstfürsorge kein Fremdwort mehr, sondern für viele wichtiger Bestandteil des Alltags geworden – wie auch immer sie bei dir persönlich zum Ausdruck kommt.
Für mich zählen zu den Grundlagen der Selbstfürsorge guter und ausreichender Schlaf, bewusste Pausen, Stille, Zeit mit meinen Liebsten, gesunde Ernährung und die Verbindung zur Natur. Vielleicht kam auch dir einer dieser Aspekte direkt in den Sinn. Und wenn wir es schaffen, sie in unseren Alltag zu integrieren, haben wir schon richtig viel für unser Wohlgefühl getan, was uns unserem inneren Gleichgewicht näherbringt. Alle diese Aspekte haben eins gemeinsam: Sie fühlen sich für mich angenehm an. Ich tue mir etwas Gutes und spüre die positiven Auswirkungen meist direkt. Dabei wird mir ein Irrtum bewusst, der weit verbreitet ist: Selbstfürsorge bedeutet Wellness. Gute Laune. Badeschaum.
Hier kommt ein großes JA: Im Winter in der Badewanne mit einem guten Buch zu entspannen gehört für mich definitiv auf die Liste meiner Selbstfürsorge-Praxis. Echte Selbstfürsorge geht aber noch viel weiter. Sie schließt unsere Schattenanteile mit ein. Sie erfordert oft Disziplin. Und sie beutet, Wachstumsschmerzen auszuhalten.
Selbstfürsorge soll schmerzhalft sein? Wenn sich das für dich nach einem Paradox anhört, ist dieser Artikel für dich.
Warum eigentlich Selbstfürsorge?
Echte Selbstfürsorge ermöglicht uns ein Leben in Balance. Balance ist dabei nichts statisches. Sie ist deine individuelle Mitte im manchmal sehr wilden Tanz von Yang und Yin; für andere da sein und sich um sich selbst gut kümmern; die eigene Individualität ausleben und sich in einen größeren Kontext mit Demut einbetten.
Sich selbstlos um andere zu kümmern, ohne wirklich in der eigenen Kraft zu sein, führt schnell dazu, dass wir uns ausgebrannt fühlen. Das Gleiche gilt, wenn wir ständig Dinge aus den falschen Beweggründen (wie Schuldgefühl) tun. Auf der anderen Seite führt der klassische Egoismus auch nicht zum Glück, denn mit der Me-First-Strategie jagen wir Menschen schnell in die Ferne, und gesunde und nährende Beziehungen zu leben zählt zu unseren menschlichen Grundbedürfnissen. Hier wird für mich deutlich, dass echte Selbstfürsorge achtsame Selbstreflexion voraussetzt. Selbstfürsorge heißt, die eigenen Muster zu beobachte und uns von denen zu lösen, die uns und anderen schaden. Dabei geduldig und liebevoll zu bleiben und nicht dem Optimierungswahn zu verfallen, der in unserer Gesellschaft so angesehen aber tatsächlich toxisch ist, bringt uns weiter in unsere Mitte und verschafft und Klarheit, Stärke und Gelassenheit.
In diesem Kontext bedeutet echte Selbstfürsorge auch …
… deine eigenen Bedürfnisse herauszufinden und zu äußern. Dabei gehört es einfach dazu, dass sich andere Menschen manchmal verletzt oder zurückgewiesen fühlen, wenn sie gegensätzliche Bedürfnisse haben. Aber nicht entsprechend deiner eigenen Wahrheit zu leben ist viel schmerzhafter als damit präsent zu sein, dass andere vielleicht manchmal von dir enttäuscht sind.
… deine eigenen Grenzen zu achten. Dazu zählt zu lernen, empathisch aber mit Klarheit Nein zu sagen. Dabei ist jedes Nein gegenüber einer anderen Person ein Ja für dich.
… dich authentisch zu zeigen. Hierzu gehört, deine Schatten lieben zu lernen und ganz zu dir zu nehmen. Der nächste Schritt ist es dann, den Menschen um dich herum so viel Vertrauen zu schenken, dass du ihnen deine Schattenanteile zumutest (zumutest im besten Sinne des Wortes, mit Nachdruck auf „Mut“).
… Disziplin. Wenn du Selbstfürsorge als Good-Vibes-Only-Programm verstehts, nimmst du dir die Möglichkeit, mit dir selbst tiefer in Kontakt zu kommen und betreibst Spiritual Bypassing par excellence. Natürlich ist es mit Energieaufwand verbunden, jeden Morgen zu meditieren oder ein unangenehmes Gespräch mit dem Partner zu beginnen. Durch diese Wachstumsschmerzen zu gehen erweitert langfristig aber deine Kapazität, den inneren Raum für Dinge zu halten, die herausfordernd sind.
… die volle Verantwortung für dein Leben zu übernehmen. Dazu zählen deine Gesundheit, deine Entscheidungen und die Menschen, mit denen du dich umgibst.
… Menschen loszulassen, die deine Energie rauben. Und Menschen in dein Leben einzuladen, die dich inspirieren, annehmen und bedingungslos lieben. Meist geschieht letzteres automatisch dadurch, dass wir achtsam in die Selbstreflexion gehen und innerlich weiter werden.
… bestmöglich nachhaltig und in Co-Existenz mit der Natur zu leben. Die Ausbeutung der Erde ist nichts anderes als Selbstzerstörung. Wenn wir uns unserer Lebensgrundlagen berauben, berauben wir uns unserer eigenen Lebendigkeit.
… und schlussendlich bedeutet Selbstfürsorge – und das ist vielleicht der wichtigste Punkt – gemäß unserer Bestimmung zu leben. Wir alle kommen mit einer bestimmten Aufgabe in dieses Leben, mit bestimmten Gaben und Schätzen, die es für uns zu teilen gibt. Sie sind der individuelle Ausdruck unseres Wesens, in diesem Körper, auf dieser Welt.
Vielleicht ist es heute tatsächlich das lange Bad mit einem guten Buch, um deine Speicher wieder aufzuladen und abzuschalten. Vielleicht ist dein Selbstfürsorge-Ritual aber auch, zum ersten Mal Nein zu sagen, ein unangenehmes Gespräch zu initiieren oder einen Schritt weiter in Richtung eines Herzensprojektes zu gehen, für das du dich noch nicht ganz bereit fühlst.
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Photocredit: David Fanuel | Unsplash